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AbteilungAlgebra und Arithmetische Geometrie

Arithmetische Geometrie beschäftigt sich mit dem Studium rationaler Lösungen polynomialer Gleichungen mittels der leistungsstarken Methode der algebraischen Geometrie. Ganzzahlige Lösungen Diophantischer Gleichungen sind von besonderem Interesse in der Zahlentheorie, ebenso die Lösungen über anderen Körpern als den rationalen Zahlen, etwa endlichen Körpern.

Viele motivierende Fragestellungen sind mehr als 2000 Jahre alt, auch wenn erst Entwicklungen in näherer Vergangenheit es ermöglichten, einige davon zu beantworten. Als Folge bildet arithmetische Geometrie einen lebendigen, faszinierenden und sehr erfolgreichen Bestandteil moderner Mathematik.

In Heidelberg liegt der Fokus auf den folgenden Forschungsschwerpunkten: Wir untersuchen Galois-Darstellungen und ihre Deformationen sowie die Geometrie von Eigenvarietäten über adischen Räumen als Teil des p-adischen Langlands-Programms. Ferner gibt es einen Fokus auf Drinfeldsche Modulvarietäten als Teil des Langlands-Programms über Funktionenkörpern. Wir betreiben Forschung in Iwasawa-Theorie mit einem Schwerpunkt auf Iwasawa-Kohomologie über p-adischen Lie-Erweiterungen mit Beziehungen zu p-adischen L-Funktionen und zu p-adischer Hodge-Theorie. Weiterhin gibt es einen Fokus auf arithmetische Homotopiegruppen einschließlich der Beziehungen zur Anabelschen Geometrie oder zur zahmen Kohomologie adischer Räume.

WORUM GEHT ES IN DER ARITHMETISCHEN ALGEBRAISCHEN GEOMETRIE?

Die klassischen Objekte in der arithmetischen Geometrie sind rationale Punkte, die Lösungsmengen eines Systems von Polynomgleichungen über Zahlkörpern, endlichen Körpern, p-adischen Körpern oder Funktionenkörpern bilden. Von besonderem Interesse in der Zahlentheorie sind ganzzahlige Lösungen diophantischer Gleichungen. Große Fortschritte wurden erzielt, indem dieses algebraische Setup in einer geometrischen Sprache beschrieben und die mächtige Maschinerie der algebraischen Geometrie entwickelt wurde. Dies führte zu einer Transformation des Ausgangsproblems der diophantischen Gleichungen zu Fragen nach der Struktur algebraischer Varietäten über nicht notwendiger Weise algebraisch abgeschlossenen Körpern. Diese moderne, abstrakte Version der algebraischen Geometrie wurde von Grothendieck und Serre in den 1950/60er Jahren entwickelt. Seitdem hat die arithmetische algebraische Geometrie enorme Entwicklungen und Erfolge erlebt. Paradebeispiele sind Delignes Lösung der Riemann-Hypothese für algebraische Varietäten über endlichen Körpern, Wiles Arbeit über Modularität, welche Fermats letzten Satz impliziert, und Lafforgues Beitrag zum Langlands-Programm. Die Geschwindigkeit der Entwicklung auf diesem Gebiet hat bis heute Schritt gehalten, wie die jüngste Liste der Fields-Medaillen zeigt, die auf diesem Gebiet an Scholze und Venkatesh vergeben wurden.

Typische übergreifende Forschungsfragen sind:

  • Wie spiegelt sich die intrinsische Geometrie und Arithmetik von Räumen in ihren Kohomologien, Homotopien und Galois-Darstellungen wider?
  • Wie können algebraische Strukturen, die durch ihre Monodromie oder ihre Türme von Überlagerungsräumen bestimmt werden, klassifiziert und berechnet werden?
Torus und Elliptische Kurve

Ein Netz von Methoden und Vermutungen in der arithmetischen Geometrie

Die Forschung in der modernen arithmetischen Geometrie ist in ein riesiges Netz von Vermutungen eingeflochten und verwendet eine große Auswahl verschiedener Methoden.

Über endlichen Körpern liefert die Theorie der étalen Kohomologie topologische Invarianten, die algebraischen Varietäten zugeordnet werden. p-adische Hodge-Theorie gibt Werkzeuge an die Hand, um zu untersuchen, wann sich kohomologische Eigenschaften von Varietäten über den komplexen Zahlen auf diejenigen über p-adischen Körpern ausdehnen. Die Arithmetik abelscher Varietäten verbindet die rationalen Lösungen (Mordell-Weil-Gruppe) mit ihrer Hasse-Weil-L-Funktion, wie es in der (verallgemeinerten) Birch- und Swinnerton-Dyer-Vermutung zum Ausdruck kommt, die wiederum ein Sonderfall der Tamagawa-Zahl-Vermutung ist. Eine Möglichkeit, diese Phänomene über einen ganzen Turm von Zahlenkörpern gleichzeitig zu untersuchen, stellt die Iwasawa-Theorie samt ihren p-adische L-Funktionen dar - eine wichtige Forschungsrichtung nicht zuletzt im Hinblick auf äquivariante, möglicherweise nichtkommutative Aspekte.

Netz von Vermutungen

Einer ähnlichen Philosophie folgend, aber in einem viel allgemeineren Rahmen, versucht das Langlands-Programm, eines der größten Forschungsprogramme in der reinen Mathematik, Galois-Gruppen und ihre Darstellungen mit automorphen Formen und der Darstellungstheorie algebraischer Gruppen über lokalen und globalen Körper in Beziehung zu setzen - was auf eine umfassende Verallgemeinerung der Klassenkörpertheorie hinausläuft. Insbesondere enthält es eine Entsprechung von L-Funktionen und lokalen Konstanten. Eine prominente, neuere Verallgemeinerung der klassischen Vermutungen von Langlands ist das p-adische Langlands-Programm, in dem man die Beziehung von p-adischen Galois-Darstellungen zu p-adischen automorphen Formen untersucht. Deformationstechniken für Galois-Darstellungen auf der Galois-Seite finden eine Parallele in der Untersuchung geometrischer Familien p-adischer automorpher Formen, wie sie durch Eigenvarietitäten gegeben sind. Das Studium des Zusammenspiels zwischen der Geometrie dieser Familien und der Darstellungstheorie der algebraischen Gruppen unter Verwendung von Kohomologietheorien ist eine interessante und sehr aktive Forschungsrichtung. Die Frage, wie die Geometrie das Bild von Galois-Darstellungen bestimmt, ist das Thema einer weiteren lebendigen Forschungsrichtung. Deformationstheoretische Argumente deuten darauf hin, dass das Bild der Galois-Darstellungen so groß ist, wie es die Geometrie zulässt. Diese globalen Aspekte werden durch das lokale p-adische Langlands-Programm ergänzt, das eng mit p-adischer Hodge-Theorie verzahnt ist.

Das Auftreten von wilder Verzweigung in positiver und gemischter Charakteristik impliziert ein unerwartetes Verhalten klassischer geometrischer Invarianten. Insbesondere die höheren étalen Homotopiegruppen von Schemata über endlichen Körpern enthalten nur begrenzte Informationen (sie verschwinden für affine Schemata). Daher besteht ein enormes Interesse daran, den zahmen Situs von Schemata und adischen Räumen zu entwickeln, ein systematischer Weg, um wilde Verzweigung zu vermeiden. Er wird verbesserte Invarianten liefern, insbesondere homotopieinvariante Kohomologie und nichttriviale höhere Homotopiegruppen.

Schließlich beschreibt die anabelsche Geometrie, die als eine weitere (stark nichtlineare und nicht-abelsche) Verallgemeinerung der Klassenkörpertheorie zu betrachten ist, einen Weg, wie eine bestimmte arithmetische Varietät oder ein verwandtes geometrisches Objekt aus der algebraischen Fundamentalgruppe rekonstruiert werden kann.

Unsere aktuellen Forschungsaktivitäten sind eingebunden in den Sonderforschungsbereich SFB 326 GAUS mit Partnern in Frankfurt, Darmstadt, Mainz und München.

Die Arithmetik hat in Heidelberg eine lange Tradition mit Mathematikern wie F.K. Schmidt, Maaß, Freitag, Roquette, Matzat, Wingberg u.a. Insbesondere die DFG-Forschungsgruppen „Arithmetik“ (1998-2004, Sprecher: Freitag) und „Symmetrie, Geometrie und Arithmetik (SGA)“ (2013-2019, Sprecher: Schmidt) haben die Entwicklung des Gebietes in Heidelberg stark beeinflusst.